Nachgefragt: Interview mit Einzelhandels-Verbandschef Andreas Gärtner

HANDEL IM WANDEL
Immer positiv bleiben, jammern hilft nichts! So lautet das Credo von Andreas Gärtner. Der Chef des Einzelhandelsverbands ist sicher, dass man mit einer solchen Einstellung letztlich bessere Ergebnisse erzielen kann. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass der 54-Jährige, der den Verband in Schwaben seit rund sieben Jahren führt, Augsburg trotz eines massiven Strukturwandels im Handel weiter als attraktive Einkaufsstadt sieht. Sein Lieblingsplatz ist allerdings nicht die Fußgängerzone, sondern die Kahnfahrt, wo der Vater von zwei Söhnen vor einigen Jahren, wie er verrät, geheiratet hat. Im Gespräch mit dem Top-Magazin steht allerdings die Entwicklung des Einzelhandels, speziell in Augsburg, im Mittelpunkt.
Top: Unruhe in Augsburgs City. Traditionsgeschäfte schließen, das Parken wird immer teurer und die Tarife für Bus und Tram steigen schon wieder zum Jahres-wechsel. Das drückt die Stimmung. Der Handel fürchtet, dass Augsburg an Attraktivität verliert. So lassen sich Schlagzeilen der jüngsten Zeit zusammenfassen. Sehen Sie das auch so?
Andreas Gärtner: Dies ist nur ein momentaner Eindruck. Ich kann hingegen grundsätzlich nicht erkennen, dass Augsburg immer unattraktiver wird. Die City bietet nach wie vor einen breiten Branchenmix und ein abwechslungsreiches Einkaufs-Erlebnis. Aber es stimmt: Der Handel ist im Wandel – seit Jahren. Die Gründe für massive strukturelle Veränderungen sind vielschichtig. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt ein unsichtbarer Mitbewerber – das Online-Geschäft, das inzwischen 30 bis 50 Prozent des Umsatzes ausmacht. Augsburg bietet dennoch weiterhin eine attraktive Innenstadt.
Top: Schauen wir dennoch auf Schließungen und Leerstände, die sich gar nicht alle aufzählen lassen. Woolworth im Herzen der Fußgängerzone liegt seit 14 Jahren brach, Traditionsgeschäfte wie Rübsamen und Eckerle sind zu, ebenso das letzte Vollkaufhaus Karstadt, um Beispiele zu nennen. Lässt sich das tatsächlich verkraften?
Andreas Gärtner: Veränderungen gibt es in allen deutschen Einkaufsmeilen, so auch hier. Natürlich schmerzt so manche Schließung zunächst. Grundsätzlich gilt, und das zeigen alle aktuellen Studien, die A-Lage schrumpft. Will heißen, dass gerade in Top-Lagen, also in Augsburg etwa in der Anna- und Philippine-Welser-Straße sowie am Rathausplatz der Handel nicht mehr wie früher Megaflächen braucht. Das bringt mit sich, dass es bei entsprechenden City-Immobilien Nutzungsänderungen gibt und geben wird. Wichtiger ist, dass das Angebot stimmt. Und hier ist Augsburg mit gutem Textil-Sortiment, aber auch vielen sonstigen Fachgeschäften mit hochwertigen wie auch günstigen Waren, ebenso mit ausreichender, abwechslungsreicher Gastronomie nach wie vor gut aufgestellt.
Top: Blicken wir dennoch nochmal auf Karstadt: Ist das nicht ein herber Rück-schlag für Augsburgs Handel, wenn ein solches Zugpferd wegfällt? Sehen Sie Alternativen bzw. eine Lösung? Und bis wann kann man mit einer Neubelebung rechnen?
Andreas Gärtner: Keine Frage, das Aus für Karstadt ist bedauerlich, eröffnet aber auch neue Chancen. Aldi im Keller wird wohl bleiben. Ein realistischer Wunsch ist es zudem, das Erdgeschoss und den ersten Stock wieder für den Handel mit modernen Konzepten zu nutzen, wobei anstelle von einem Anbieter wohl eher mehrere Einzelgeschäfte und Dienstleister einziehen könnten. Gut wäre es freilich auch, den Durchgang, etwa als Passage, von der Bürgermeister-Fischer-Straße zum Martin-Luther-Platz zu erhalten. Um insgesamt voranzukommen, ist zunächst auch wichtig, die Flächen in den oberen Stock-werken zu entwickeln und einer neuen Nutzung zuzuführen. Das alles dauert seine Zeit. Es gibt aber einen ständigen Austausch mit dem Wirtschaftsreferenten, mit der IHK und dem Immobilieneigentümer Solidas, weil jeder Beteiligte weiß, dass ein großer Leerstand schon eine Hemm-schwelle ist. Wenn dort, gewissermaßen am Eingang zur Einkaufszone, wieder Leben einzieht, wertet das die ganze City auf. Da sind wir dran.
Top: Apropos Wirtschaftsreferent, Wolfgang Hübschle spricht vom Paradigmen-wechsel. Und er meint wohl ebenfalls, wenngleich dieser Begriff nicht so recht passt, unaufhaltsame Veränderungen in der City mit der Folge, so sagt er, dass der Handel die Innenstadt nicht mehr alleine prägen wird. Irgendwie doch beunruhigend, wenn man bedenkt, dass auch nach jüngsten Umfragen nach wie vor 70 Prozent der Innenstadtbesucher vor allem zum Einkaufen hierherkommen?
Andreas Gärtner: Wie schon gesagt, der Handel und die Innenstädte verändern sich überall, sie verlieren aber nicht an Bedeutung. Und es stimmt: Die Geschäftswelt ist weiterhin für viele der Hauptgrund, in die City zu kommen, die als »attraktiver Handelsplatz lockt. Hinzu kommt in Augsburg, dass angrenzende Bereiche, etwa die wieder aufgewertete Karolinen- oder die belebte Bahnhofstraße, aber auch, ich sage mal, Alternativlagen wie die Altstadt oder das Bismarckviertel einladend sind.
Top: Nochmal ein kurzer Blick aufs Angebot in der City. In den letzten Jahren wurden wieder Supermärkte wie Rewe, Edeka und sogar Aldi, die bis dato vor allem in Einkaufszentren und am Stadtrand platziert waren, mitten in der Stadt eröffnet. Auch eine der angesprochenen Veränderungen…
Andreas Gärtner: …weil es – auch wirtschaftlich – funktioniert. Es ziehen wieder mehr Menschen in die Innenstädte und der Handel passt sich an.
Top: Kürzlich, so konnte man nachlesen, haben Sie mit Blick auf den innerstädtischen Einzelhandel auch von „vielen, gut laufenden Konzepten“ gesprochen. Können Sie dazu zwei, drei Beispiele nennen?
Andreas Gärtner: Gemeint habe ich auf ganz Schwaben bezogen, bestimmte, nicht selten traditionsreiche Geschäfte, etwa in Aichach oder Mindelheim, Nördlingen oder Marktoberdorf, aber auch in Augsburg, die am Ball bleiben und sich speziell auf ihre Kundschaft einstellen. Zum Bei-spiel mit zielgerichtetem, ja persönlichem Marketing. Da wird etwa das Sortiment angepasst und die Fachberatung hochgehalten. Dort gibt es sogar Kunden, die seit Jahren immer auf denselben Verkäufer vertrauen. In diesem Zusammenhang will ich auch mal eine Lanze brechen für inhabergeführte Geschäfte und den Mittel-stand, die immer wieder auch investieren und ihre Verkaufsräume modernisieren. Mit guter persönlicher Beratung und Service – für so manchen Einzelhändler erfordert dies auch eine Rückbesinnung auf diese Werte – kann man sich auch besser vom Onlinehandel absetzen.
Top: Der Onlinehandel kann also den Einkaufsbummel nicht ersetzen. Gut wäre es freilich auch, um das Vergnügen nicht zu trüben, dass man sich etwa in der Fuggerstadt City bei den Öffnungszeiten mehr abstimmt. Das gilt wohl auch mit Blick auf den Stadtmarkt, der ja eigentlich ein Pluspunkt für Augsburgs City sein sollte.
Andreas Gärtner: Ich meine, was die Öffnungszeiten angeht, braucht es in einer Stadt wie Augsburg keine feste Bindung, wenn eine Kernzeit eingehalten wird – also etwa von 10 bis 18 Uhr. Aber das klappt ja weitestgehend. Gut wäre freilich, wenn da auch der Stadtmarkt konsequent dabei wäre, der aus meiner Sicht längst nicht mehr nur zur Nahversorgung dient, sondern als touristisches Highlight gesehen werden muss. Es war doch wunderbar, etwa bei den Night Lights, abends dort zu verweilen. Überhaupt könnte der Stadtmarkt, speziell am Samstag, mehr zu einem Treffpunkt werden…
Top: … so wie in Würzburg die Mainbrücke oder in Mainz der Marktplatz.
Andreas Gärtner: Warum nicht? Ich würde es gut finden.
Top: Ja, wenn in der City was geboten ist – von den Sommernächten über Weinstraße und die angesprochenen Light Nights oder speziell jetzt beim Christkindlesmarkt – dann kommen die Leute. Sonst weniger. Müsste es also mehr Events geben? Wie könnten die aussehen?
Andreas Gärtner: Die bisherigen Highlights sind gut gesetzt, zwei, drei Veranstaltungen mehr könnte die Stadt noch verkraften. Es darf hier aber keine Überfrachtung geben. Ein verbessertes Ladenschlussgesetz für Bayern, an dem gerade gearbeitet wird, das aber im bewährten Rahmen – Öffnungszeiten bis maximal 20 Uhr, sonntags geschlossen – bleiben soll, bietet wohl weitere Möglichkeiten. Eventuell mehr Shoppingnächte als bisher oder auch Abendevents, die den Stadtbesuch noch mehr zum Erlebnis machen. Andererseits muss man auch an das Verkaufs-personal denken, zumal Fachkräfte fehlen, speziell auch in der Gastronomie, was so manche Einschränkung erfordert.
Immer positiv bleiben,
jammern hilft nichts!
Top: Augsburgs City ist geprägt vom Fußgängerkern zwischen Rathausplatz und Annastraße. Sollte man hier die Maximilianstraße einbeziehen, wo man ja – Stichwort Verkehrsberuhigung – nicht wie gewünscht vorankommt. Und was ist mit dem Fuggerboulevard, für den es ja tolle Pläne gibt, der bisweilen aber eher wie ein Busbahnhof anmutet? Dort wie auch an anderen Stellen in der Stadt fordern die Händler und auch die Bürgerschaft zum Beispiel mehr Grün.
Andreas Gärtner: In Zeiten knapper Kassen sollte man sich auf bestehende, bewährte Standorte konzentrieren. Die Maxstraße zählt nur bis zum Moritzplatz zur Fußgängerzone, darüber hinaus, bis zum Ulrich, ist es eine prachtvolle Straße, aber nicht Teil der Einkaufsmeilen. Und die Fuggerstraße wäre natürlich als grüner Boulevard wünschenswert. Ich sehe derzeit aber, vor allem aus Kostengründen, keinen Weg dorthin. Insgesamt ist viel Grün in der Stadt natürlich kein Nachteil, aber letztendlich auch nicht entscheidend dafür, dass die Kundschaft, auch aus dem Umland, hierher kommt.
Top: Womit wir beim womöglich entschei-denden Thema Erreichbarkeit sind. Wer in die City kommt, muss mit üppigen Parkge-bühren rechnen. Und mit dem ÖPNV wird es, speziell für Familien, noch teurer. Also, was tun?
Andreas Gärtner: Parken, direkt im Zentrum, kostet in allen großen Städten etwas. Aber die Preise in den Augsburger Park-häusern sind nicht übertrieben und es gibt auch, gut erreichbar, ein ausreichendes Angebot an Stellplätzen, sieht man mal von Hochfrequenztagen ab. Da helfen dann ein Ausweichen, etwa auf das Plär-rergelände, und wenige Stationen mit der Straßenbahn.
Top: Wäre ja eine Lösung, wenn die kos-tenfreie Cityzone der Verkehrsbetriebe nicht so halbherzig wäre. Sie gilt nur im Stadtkern und reicht nicht mal bis zum Plärrer oder auch zur Kongresshalle. An-dere Städte bieten da mehr. Etwa güns-tige Park- und ÖPNV-Kombitickets (in Straßburg) oder gar völlig kostenfreien ÖPNV (wie in Luxemburg oder in Estlands Hauptstadt Tallinn) oder auch, nicht so weit weg, nämlich in Reutlingen, einen kostenfreien Nahverkehr an Einkaufs-samstagen, der auch noch nachts gilt, was die Gastronomie stärkt.
Andreas Gärtner: Da bin ich bei Ihnen. Gerade an den Wochenenden wünschte man sich aus Handelssicht mehr kosten-freie oberirdische Parkplätze oder sogar subventionierte Parkhäuser. Gerade potentielle Kunden aus dem Umland, wo nicht selten ein regelmäßiger ÖPNV-An-schluss fehlt, sind aufs Auto angewiesen. Und gerade diese Menschen mit oftmals höherer Kaufkraft sind wichtig für den Cityhandel. Was den ÖPNV angeht, hat man Park-&-Ride-Systeme, wie sie vor 20 Jahren favorisiert wurden, leider vernachläs-sigt. Jetzt, das muss man deutlich sagen, ist der Nahverkehr absolut nicht ausrei-chend ertüchtigt. So ist man weit davon entfernt, die gewünschte Verkehrswende zu erreichen. Es fehlt eine attraktive Taktung und die Fahrpreise sind wenig einladend. Erst wenn Bus und Tram günstiger, schneller und bequemer sind, werden die Leute mehrheitlich umsteigen. Um Lösungen für einen günstigeren Nahverkehr zu finden, ist allerdings der Bund gefragt. Augsburg allein kann das nicht stemmen.
Top: Also dann lieber doch mit dem Auto fahren und, so sagen viele, am besten gleich in die City-Galerie. Dort parkt man günstig und bekommt fast alles. Ist das ECE-Center am City-Rand letztendlich ein Nachteil für den Innenstadthandel?
Andreas Gärtner: Augsburg als drittgrößte Stadt Bayerns ohne City-Galerie – das wäre ein Armutszeugnis. Und ich bin froh, dass das Center doch sehr nah an der Innenstadt ist – ein Fußweg durch die schöne Altstadt, der beim Shopping nicht ungewöhnlich ist. Das passt zu einem Ein-kaufserlebnis, dessen schöne Seiten mehr hervorgehoben werden müssen. Anstatt immer zu mosern, muss man in Augsburg eine Willkommenskultur pflegen, die ver-deutlicht, was hier alles geboten ist.
Top: Blicken wir abschließend noch über den Tellerrand hinaus. Welche Rolle spielen sonstige Probleme, wie die Inflation bzw. die Tatsache, dass die Menschen nicht mehr so viel Geld in der Tasche ha-ben? Oder auch Zukunftsängste, politische Verschiebungen und die wirtschaftliche Talfahrt in Deutschland?
Andreas Gärtner: Global gesehen werden die Probleme nicht weniger. Wo man hinschaut, nur Krisen: Nach Corona als eine Zäsur im Handel, die wir mit viel Energie weitgehend überwinden konnten, beunru-higen uns der Ukrainekrieg, eine teils ga-loppierende Inflation, natürlich auch der Nahostkonflikt und gesamtwirtschaftliche Probleme. Die Industrie steht sozusagen am Abgrund, die Bauwirtschaft liegt am Boden und zunehmend wandern Mittelständler ins Ausland ab. Trübe Aussichten, die natürlich auch – oftmals mit einer gewissen Verzögerung – den Einzelhandel treffen. Das ist die letzte Stufe. Wer Angst um seinen Job hat – Stichwort VW, was ja auch viele Zulieferer trifft –, kauft weniger ein und verschiebt so manche Anschaf-fung bzw. Investition. Umso wichtiger ist es, dass unsere Branche vorbereitet und gut aufgestellt ist. Was Augsburg angeht, bleibe ich trotz der Krisenzeiten zuversichtlich, weil diese schöne Stadt nach wie vor nicht nur als Einkaufsstandort viel zu bieten hat, sondern auch den aktuellen Strukturwandel im Handel meistern kann und wird. BUB n