Die Welt im Schwebezustand
Bei der Vernissage zur Doppelausstellung „rethinking nature“ in der Galerie Noah kann der Berliner Maler Harald Gnade und der nordrheinwestfälische Bildhauer Stephan Marienfeld, die be-reits im Jahr 2016 schon einmal dort ausgestellt haben, stolz auf ihre gelungene Kombination von Malerei und Plastik sein. „Schwerelos schweben, still und leise kreisen, ganz friedlich fliegen uns in der Ga-lerie Noah im Glaspalast absonderliche Asteroiden um die Ohren – wie auf der Suche nach Zugehörigkeit, durch Raum und Zeit, in Ruhe auf der Flucht, ohne Anfang und vielleicht auch ohne Ende“, sagt die Galeristin Wilma Sedelmeier. Fein säuberlich in Acryl auf Leinwand gepinseltes, losgelöstes Fragment macht sich breit, scheinbar mikrobiologisch definiert, Schilf-, Moos- oder Stroh-artig anmutend, fragil wie robust, resistent. Davor, darunter ein Haufen verglühter Meteoriten, teils wie von Wunderhand poliert, zum Greifen nahe, in Aluminium, Bronze oder Porzellan gegossen, „gefallene Engel“ in modern-maroder Form, mit Blessur, demoliert, vom Leben gezeichnet. Diese Ausstellung könnte nicht brisanter sein, nicht zeitgeistiger daher kommen – aus soziologischer Sicht nämlich tut sich hier durchaus eine Art gesellschaftliches Psychogramm auf: Ganz wunderbar wie formvollendet hält uns diese besondere Super-Show einen symbolischen Spiegel vor, zeigt uns, uns alle in digitale Watte gepackt, auf ewiger Sinnsuche durch virtuelle Kosmen, verloren in den grenzenlosen Irrungen und Wirrungen des Internets, verführt von fiktiven Ideologien, gefangen im eigenen Körper. Die Welt in einer Art Schwebezustand, irgendwo zwischen Diesseits- und Jenseits, kredenzt uns Harald Gnade – und liefert herrlich an-genehme, federleichte, und doch tiefsinnige Inspiration, leichten Stoff für schwere Köpfe.
Schön und effizient, stechen seine Bilder ins Auge, fesseln, bieten Neues für Altes und lassen uns lange verweilen. Gnades filigrane, abstrakt figurative Acryl-Malerei aus vor allem den neuen Werkgruppen „Mikronatur“, „Habitat“ und „Land and Islands“ nimmt den Betrachter sanft an die Hand und zieht ihn sachte hinein, ins Bildinnere, in einen Strudel aus farbiger, im weiß-blauen Weltall herum irrender, organischer Materie – ein meditatives, ästhetisch wie intellektuell wertvolles Vergnügen, das der ehemalige Hermann-Nitsch-Schüler gerne mal mit drastischen Schüttungen flüssigen Aluminiums bricht, oder mit poppigem Lack kontrastiert.
Stephan Marienfeld (58) führt ironisch-gleichnishaft fort und ergänzt, haut populär rein und setzt maßgebliche Akzente, mit schmerzhaftem Wiederhall, à la Richard Deacon oder Constantin Brancusi: Seine stark reduzierten, figurativen, leicht konkret zu verstehenden Plastiken aus Porzellan, Aluminium und Bronze aus vor allem den Serien „Bondage“, „Turn up“ und „Twist“ erinnern an griffige Gegenstände, eindringliche Formen des alltäglichen Lebens, und meinen doch den Menschen, in Natura, im bewegten Sein. Diesen will er eine Seele geben. Der Künstler war nach seiner Ausbildung zum Steinbildhauer zehn Jahre lang Atelierleiter von Tony Cragg in Wuppertal. 2003 bis 2006 nimmt Marienfeld einen Lehrauftrag an der Freien Kunstakademie in Essen an, wird mit Nominierungen und Preisen, unter anderem für den TheRhinePrize Bonn, geehrt, sowie mit Ausstellungen im In- und Ausland, so im Kunsthaus Hannover, im Museum Villa Rot, auf der Biennale in Venedig 2019, auch einer stetigen Beteiligung an der renommierten, von New York bis Hongkong tätigen „Opera Gallery“. Harald Gnade (66) hat Malerei und Film an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt bei Thomas Bayrle, Peter Kubelka und Hermann Nitsch studiert. Danach absolvierte er ein weiteres Studium von Film und Angewandter Kunst an der Hochschule der Künste Berlin bei Wolfgang Ramsbott und Hans Förtsch. Am liebsten malt er und doziert parallel jahrelang an der Akademie für Malerei Berlin. Er war in 1992 auf der documenta in Kassel vertreten, stellte im „Haus der Kunst“ in München aus, im Kunsthaus Potsdam, erhielt Stipendien wie das des Kultursenates von Berlin und Eu-ropa. Er lebt und arbeitet in Berlin und auf Sizilien. Noch bis 12. Januar 2025 läuft die Ausstellung in der Galerie Noah, Beim Glaspalast.